Über Mathematik muss man nicht diskutieren, über Zahlen schon

Wie schon im letzten Blog-Beitrag erwähnt ist der erste Teil unserer heutigen Überschrift für viele Studierende, Lehrende und auch Forschende ein attraktiver Aspekt der Mathematik, der erstaunlicherweise auch von der „nichtmathematischen Außenwelt“ akzeptiert wird, vielleicht aus Unverständnis oder auch aus Respekt vor dem Fach. Mathematische Resultate sind durch einen formalen Beweis abgesichert und somit objektiv richtig. Es braucht keine ausufernde Diskussion darüber, wessen Meinung die (politisch) korrekte oder die (ökonomisch) gewinnbringendere ist.

Dass man über Zahlen diskutieren kann oder sogar muss, erscheint auf den ersten Blick überraschend. Auch Zahlen sind als Resultat einer Berechnung, die mathematischen Formeln folgt, richtig (so man richtig gerechnet hat) oder ergeben sich aus einer fehlerhaften Berechnung und sind dann wertlos.

Tatsächlich geht es aber oft um etwas anderes. Wenn einem die Konsequenz korrekter Berechnungen nicht gefällt, hat das oft seinen Ursprung in zugrunde liegenden Inputparametern eines mathematischen Modells oder einer entsprechenden Gesetzmäßigkeit, die zum präsentierten Ergebnis führen. Gehen wir davon aus, dass das zugrunde liegende Modell den Sachverhalt hinreichend gut beschreibt oder sogar ein Standardmodell für diese Anwendung ist, so sind lediglich die Inputparameter zu diskutieren.

Dass dies aber dann durchaus zu kontroversen Diskussionen führen kann, sieht man am Beispiel der gegenwärtigen Diskussion über die Lösung der Rentenproblematik in Deutschland und die Rolle des sogenannten „Generationenkapitals“.

Dabei ist vorgesehen, jährlich 12 Mrd. Euro als Darlehen der Bundesrepublik Deutschland am Kapitalmarkt zu investieren (die vorgesehene Erhöhung dieser Summe um 3% p.a. lassen wir vereinfachend weg) und dies solange zu tun, bis ein „hinreichend großer Kapitalstock“ aufgebaut ist, so dass seine jährlichen Wertzuwächse (nach Zinszahlung?) einen „signifikanten Beitrag“ zur gesetzlichen Rentenversicherung liefern.

Hier wären erstmal die Fragen nach „hinreichend groß“ und dem „signifikanten Beitrag“ zu stellen, aber vielleicht ergeben sie sich auch aus dem Kontext, denn der jährlich an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zu überweisende Beitrag, um u.a. die Renten auszahlen zu können, hat mit über 110 Mrd. Euro mittlerweile schon eine signifikante Größe (ca. ¼ des Bundeshaushalts !) erreicht.

Geht man jetzt davon aus, dass weiterhin jährlich 12 Mrd. Euro neue Schulden gemacht werden und diese nicht (!) getilgt werden, sondern bei Fälligkeit durch neue Schulden gleicher Höhe ersetzt werden, so kann man einige Zahlen berechnen wie z.B.:
• Wie lange dauert es, bis die (im Mittel zu erwartenden) jährlichen Wertzuwächse des Generationenkapitals den Bundeszuschuss an die DRV erreichen?
• Wie wahrscheinlich ist es, dass die Schuldenhöhe im Generationenkapital nach 10 Jahren höher als das Generationenkapital ist?

Um dies z.B. mittels Simulation berechnen zu können benötigt man den (mittleren) jährlichen Zuwachs des Generationenkapitals b (in Prozentpunkten), wobei erhaltene Dividenden solange direkt wieder investiert werden, bis zum ersten Mal Geld aus dem Generationenkapital ausgeschüttet werden soll, die mittlere Schwankungsbreite s (die „Volatilität“) in Prozentpunkten und den jährlichen (Durchschnitts-) Zins r für die Darlehen in Prozentpunkten. Des Weiteren wollen wir (recht optimistisch) davon ausgehen, dass bis dorthin der Bundeszuschuss auf lediglich 120 Mrd. Euro angestiegen ist.

Es ist klar, dass die beiden zentralen Größen die jährliche Zuwachsrate b und der mittlere Darlehenszins r sind. Wir betrachten hier die folgenden Zahlentripel (r, b, s) (0,02; 0,05; 0,15), (0,02; 0,07; 0,2) und (0,03; 0,08, 0,2) und kommen zu den folgenden Ergebnissen (grob gerundet):

In den Spalten der untenstehenden Tabelle stehen (von links nach rechts) die Modellparmeter, die (mittlere) Zeit bis zur ersten Ausschüttung, die Schuldenhöhe bis dahin und die Wahrscheinlichkeit, nach 10 Jahren mehr Schulden als Kapital zu haben:

(0,02; 0,05; 0,15) ; 57 Jahre; 684 Mrd. Euro; 34 %
(0,02; 0,07; 0,20) ; 38 Jahre; 456 Mrd. Euro; 31 %
(0,03; 0,08, 0,20); 35 Jahre; 420 Mrd. Euro; 31%

Wie man sieht ergeben sich je nach gemachten Annahmen recht unterschiedliche Ergebnisse. Wer hat nun Recht? Das lässt sich aus statistischer Sicht nicht leicht beantworten. Geht man rein nach Daten der Vergangenheit, so wäre vermutlich der mittlere Wert der mit der höchsten Zustimmung, aber man kann auch leicht zeigen, dass die Vergangenheit nicht unbedingt der größte Einflussfaktor für die zukünftige mittlere Entwicklung ist.

Will man jetzt für den mittleren Fall das Ziel bereits nach zehn Jahren erreicht haben, so benötigt man 149,4 Mrd. Euro jährlicher Neuverschuldung bei einer Gesamtschuldenhöhe von 1,643 Bill. Euro nach zehn Jahren und einer Wahrscheinlichkeit von ca. 31%, nach zehn Jahren mehr Schulden als Generationenkapital zu haben.

Darüber kann man nun wirklich diskutieren …

Ist es wirklich so, dass der langsame Aufbau über 38 Jahre dem schnelleren über 10 Jahre vorzuziehen ist? Hierzu betrachte man auch die Kosten, die im langsamen Aufbau nicht genannt werden, nämlich die jährlichen Bundeszuschuss-Zahlungen von über 110 Mrd. Euro an die DRV und vergleiche die beiden Konstrukte.